Rückblick digitaler Praxisworkshop Chemieindustrie

Wie kann die chemisch-pharmazeutische Industrie weitere Energie- und CO₂-Einsparungen realisieren? Darüber informierten sich die rund 80 Teilnehmenden des Workshops am 22.11.2021, den die Deutsche Energie-Agentur (dena) gemeinsam mit dem Verband der chemischen Industrie (VCI) ausrichtete.

Mit dem Klimaschutzgesetz 2021 hat sich Deutschland verpflichtet, bis 2045 Klimaneutralität zu erreichen. Neben dem kürzeren Zeithorizont bis zum Erreichen der Klimaneutralität wurden gleichzeitig die Sektorziele für 2030 verschärft. Das Gesetz sieht vor, bis 2030 die Treibhausgasemissionen um 65 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 zu senken – dies entspricht einer Emissionsreduktion bis 2030 gegenüber 2019 um fast die Hälfte. Es ist daher kurzfristiges Handeln in allen Sektoren gefragt – auch die chemische Industrie muss ihre Anstrengungen verstärken. Möglichkeiten und Ansätze dafür wurden in den drei Veranstaltungsblöcken „The Big Picture: Rahmenbedingungen, technologische Trends und Klimastrategien“, „Best Practices und innovative Lösungen“ sowie „Fördermöglichkeiten für Investitionen in Ressourceneffizienz und Klimaschutz“ aufgezeigt.

The Big Picture: Rahmenbedingungen, technologische Trends und Klimastrategien

In ihren Grußworten betonten Andreas Kuhlmann (dena) und Dr. Jörg Rothermel (VCI), dass die erfolgreiche Transformation der chemischen Industrie von entscheidender volkswirtschaftlicher Bedeutung für Deutschland sei. Die vollständige Klimaneutralität der Branche könne zwar nur durch die Umstellung der Rohstoffbasis der organischen Chemie erreicht werden. Die kurzfristigen Einsparpotenziale und unmittelbaren Handlungsmöglichkeiten liegen jedoch bei den energiebedingten Treibhausgasemissionen. Die Verbesserung der Energie- und Ressourceneffizienz sowie die Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Energien müssen daher auch weiterhin den Schwerpunkt der unternehmerischen Anstrengungen bilden. Angesichts der hohen Preissteigerungen bei Strom und Erdgas führe auch für kleine und mittlere Unternehmen kein Weg daran vorbei, sich mit diesen Themen systematisch auseinanderzusetzen.

Prof. Dr. Jörg Sauer (Karlsruher Institut für Technologie, KIT) gab einen Überblick über die aktuelle Forschungslandschaft zu Energieeffizienz in der chemischen Industrie. Prozessintensivierung, Modularisierung, Digitalisierung und zirkuläre Wirtschaft seien die Trends, die die chemische Prozesstechnik in den nächsten Jahrzehnten prägen und den Weg zur klimaneutralen Chemie ebnen werden. Bei Prozessintensivierungen spielen insbesondere Nanotechnologien eine große Rolle. Ein besonders hohes Entwicklungspotenzial haben nanostrukturierte Katalysatoren, die durch eine erhöhte aktive Oberfläche eine verbesserte Reaktionsausbeute ermöglichen und damit wiederum den Energieaufwand der Stoffrückgewinnung durch nachgeschaltete thermische Trennverfahren reduzieren. Das in den nächsten zehn Jahren realisierbare Energieeinsparpotenzial von Nanokatalysatoren wird auf etwa 3 TWh/a geschätzt. Ein weiteres großes Energieeffizienzpotenzial liege in der Nanofiltration, das thermische Verfahren zur Abtrennung von organischen Lösemitteln ersetzen kann.

Dr. Dieter Regnant (Clariant International) gewährte in seinem Beitrag einen exklusiven Einblick in die Klimastrategieentwicklung des Schweizer Spezialchemiekonzerns Clariant. Clariant hat sich im Rahmen der Science Based Targets Initiative (SBTi) verpflichtet, bis 2030 seine absoluten Treibhausgasemissionen in Scope 1 und 2 um 40 % sowie in Scope 3 um 14 % im Vergleich zu 2019 senken. Die Zielsetzung beruht auf einer Abschätzung des Reduktionspotenzials anhand der systematischen Bewertung von Maßnahmenideen nach ihrer CAPEX Efficiency (Verhältnis von Kapitaleinsatz zu CO2-Reduktionspotenzial) und ihres Realisierungsriskos. Umsetzungsvorrang genießen Energieeffizienzprojekte, die häufig ein gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis aufweisen, sowie die mit geringen Risiken verbundene Umstellung auf erneuerbaren Strom. Hier setzt Clariant künftig verstärkt auf Grünstrom-Direktlieferverträge. Als risikoreicher werden hingegen der Bezug von „grünen Dampf“ an den Chemiepark-Standorten in Deutschland sowie der Zugang zu grünen Rohstoffen betrachtet, da diese außerhalb des eigenen Einflussbereichs liegen. Zur Adressierung dieser Themen hat Clariant unter anderem die Initiative „Process4Sustainability“ im Industriepark Frankfurt/Höchst mitbegründet.

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Best Practices und innovative Lösungen zur Energie- und CO2-Einsparung

Im zweiten Veranstaltungsblock ging es um konkrete Technologien und Lösungen, die bereits heute von Chemieunternehmen eingesetzt werden, um CO2-Emissionen zu reduzieren. Christof Fleischmann (Spilling Technologies) stellte in seinem Vortrag das Verfahren des Dampfrecyclings mittels Kolbenverdichter vor, das dem Prinzip einer Hochtemperaturwärmepumpe gleichkommt. Das Verfahren kann überall dort zur Anwendung kommen, wo aus Kühlprozessen oder exothermen Reaktionen Niederdruck-Überschussdampf anfällt und an anderer Stelle Prozessdampf auf höherem Druckniveau benötigt wird. In der chemischen Industrie gibt es weltweit bereits zahlreiche Anwendungsbeispiele. Die beschriebenen Dampfkolbenkompressoren erreichen hohe Austrittsdrücke und COP-Werte. Gegenüber der konventionellen Dampferzeugung wird etwa nur ein Zehntel der Energie benötigt.

Stefan Heberle (BABIC Bayerische Bitumen-Chemie) berichtete von den Erfahrungen mit einer Solarthermieanlage, mit der das Unternehmen 15° C kaltes Brunnenwasser auf 70 °C erhitzt und damit Bitumenemulsionen anrührt, seine Fahrzeuge reinigt und die Hallen beheizt. Da die Bitumenemulsionen nur von März bis Oktober auf die Straßen ausgebracht werden, passen die Wärmeerträge der knapp 200 m² großen Solaranlage ideal zum Bedarfsprofil der Firma. Damit handelt es sich zwar um einen sehr speziellen, aber erfolgreichen Anwendungsfall von solarer Prozesswärme. Rund die Hälfte der Baukosten der Solaranlage wurden von staatlicher Seite bezuschusst, dadurch ist die Anlage für das Unternehmen auch wirtschaftlich darstellbar. Als besonders positiv wurde der geringe Wartungsaufwand der Solaranlage hervorgehoben.

Christoph Gardlo (Energy Services for Industry, ES FOR IN) zeigte in seinem Beitrag neue Perspektiven zur Vermarktung von Stromflexibilität auf. ES FOR IN bietet eine algorithmische, vollautomatisierte Flexibilitätsvermarktung am kontinuierlichen Intraday-Handel. Kunden sind vor allem KWK-Anlagenbetreiber in der Prozessindustrie. Im kontinuierlichen Intraday-Börsenmarkt werden die Abweichungen der im Rahmen der Day-Ahead-Auktion verwendeten Prognosen der erneuerbaren Energien ausgeglichen. Die kurzfristigen Strompreisschwankungen bieten ein sehr hohe Erlöspotenzial für flexibel gefahrene KWK-Anlagen. Je kurzfristiger die Anlage steuerbar ist, desto höher sind dabei die Gewinne. Bereits ab 0,5 MW Flexibilität (in positiver als auch negativer Richtung) kann sich die Vermarktung am Intraday-Handel wirtschaftlich lohnen. Neben dem wirtschaftlichen Aspekt kann die Industrie damit die weitere Integration von erneuerbaren Energien ermöglichen und zur Stabilisierung des Stromnetzes beitragen.

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Digitales Ausstellerforum

Im Rahmen eines digitalen Ausstellerforums, das in Form von parallelen Breakout-Sessions stattfand, konnten sich die Teilnehmenden über weitere innovative Effizienztechnologien und ‑lösungen informieren.

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Fördermöglichkeiten für Investitionen in Ressourceneffizienz und Klimaschutz

Um die wirtschaftliche Darstellbarkeit von Klimaschutzmaßnahmen zu verbessern, können Chemieunternehmen aller Größen und Sparten staatliche Fördergelder in Anspruch nehmen. Petra Bühner (Kreditanstalt für Wiederaufbau, KfW) stellte in ihrem Vortrag das erweiterte Förderangebot des kürzlich novellierten „Bundesförderprogramms für Energie- und Ressourceneffizienz in der Wirtschaft“ vor, das zum 1. November 2021 in Kraft getreten ist. Eine für die chemische Industrie interessante Neuerung ist, dass im Modul 4 nicht mehr nur Maßnahmen zur Einsparung von Energie, sondern auch zur Einsparung anderer Ressourcen und Rohstoffe, förderfähig sind. Die Förderbedingungen in Modul 4 wurden zudem in verschiedener Hinsicht verbessert. Stromeffizienzprojekte erhalten eine attraktivere Förderung, da für deren CO2-Einsparung nun ein doppelt so hoher CO2-Faktor für Strom angesetzt werden kann. Für Elektrifizierungsprojekte hingegen – beispielsweise das Dampfrecycling – wurde der CO2-Faktor für Strom auf 0,366 t CO2/MWh abgesenkt. Projekte zur außerbetrieblichen Abwärmenutzung werden fortan zu 40 % (KMU: 50 %) gefördert. Als neues Fördermodul ist außerdem die Erstellung von Transformationskonzepten hinzugekommen. Dabei lassen sich 50 % (KMU: 60 %) der extern anfallenden Kosten für CO2-Bilanzierungen, Aufstellung von Maßnahmenplänen und sonstige Beratungsleistungen für die Transformation von Unternehmen fördern.

Weitere Informationen zur Antragstellung finden Sie auf den Webseiten von BAFA (für einen direkten Zuschuss), KfW (für einen Kredit mit Tilgungszuschuss) und VDI/VDE IT (Transformationskonzepte und Förderwettbewerb).